„Es fällt mir nicht schwer, Dauernomade zu sein“

„Es fällt mir nicht schwer, Dauernomade zu sein“

Zwei Jahre wollte er reisen, seit 19 Jahren ist er unterwegs. Als Christopher Many 1997 zu seiner ersten Overlandreise aufbrach, konnte er nicht ahnen, wie sehr die Freiheit ihn packen würde. Das Buch „Hinter dem Horizont rechts“ ist die Geschichte seiner dritten Weltreise, die ihn gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Laura Pattara auf zwei Motorrädern durch die exotischsten Gegenden der Welt führt. Eine moderne Odyssee entlang der Seidenstraße bis ins Reich der Mitte und weiter nach Australien.

In seinem Reisebestseller „Hinter dem Horizont links“ hat Christopher Many die Leser an seiner achtjährigen Weltreise mit dem Land Rover Matilda teilhaben lassen. Der Offroader erholt sich nun von seinen Strapazen in einem Oldtimer-museum und Many ist auf „Puck“ umgestiegen – seine alte Yamaha XTZ 660 Ténéré, die ihn bereits 1997 um die halbe Erde getragen hat. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Laura, die ihn auf einer BMW F650 begleitet, ist er auf seiner dritten Weltreise unterwegs, die ihn durch die Welt bis nach Australien führte. Während ihres Trips hat er mit „Hinter dem Horizont rechts“ ein neues Reisebuch geschrieben, das soeben im Delius Klasing Verlag erschienen ist. Derzeit befinden sich die beiden Weltenbummler in Sydney und freuen sich auf 18 Monate Sand, Sonne und Fliegen im Outback. In einem Interview erklärt der Reisephilosoph Many, wie man es schafft, fast zwei Jahrzehnte unterwegs zu sein, welche Gefahren er fürchtet und ob er sich vorstellen kann, irgendwann einmal dauerhaft sesshaft zu werden.

Christopher Many, wie schafft man es, fast 20 Jahre unterwegs zu sein?


Reisen – die unwiderstehliche Sucht, sprachlos staunend diese vielfältige, aufregende Welt zu erkunden. Und als „Süchtiger“ frage ich mich natürlich, wie man es schafft, 20 Jahre sesshaft an einem Ort zu bleiben! Reisen und Bücher zu schreiben sind meine Leidenschaften – da fällt es mir nicht schwer, Dauernomade zu sein.

Mein Lebensstil ist sicher nicht jedermanns Sache. Vorsichtig ausgedrückt ist er von elementarer Einfachheit. Aber ich bin es seit Jahrzehnten gewohnt, mein Leben mit dem zu bestreiten, was der Stauraum eines Autos oder das Topcase eines Motorrads hergeben. Ich habe meine kleine „Daseinsnische“ gefunden – einen Lebensentwurf, der es mir ermöglicht, meinen Weg mit geringen materiellen Mitteln selbst zu bestimmen sowie meine Individualität, zu der eben das Reisen gehört, auszuleben. Das und die Tatsache, dass ich diesen Lebens-entwurf mit meiner Partnerin Laura teile, trägt wesentlich zu meinem Glück bei.

Ich besitze kein Haus, aber ich muss auch keine Hypotheken oder Rechnungen abzahlen. Stress? Kenne ich nicht. Mein Einkommen als Autor reicht aus, um Benzin zu kaufen, Zweiminutennudeln und vielleicht auch ein bisschen mehr. Ich habe zu essen, bin frei, und habe Freunde – was sollte ich mehr wollen? Ich werde aber niemandem dazu raten, unsere Lebensweise zu kopieren. Für einige mag es richtig sein, allen Besitz zu verkaufen und unbeschwert um die Welt zu fahren, für die meisten anderen ist es nicht zu empfehlen. Die Gesellschaft würde auseinanderbrechen, wenn sich alle mit einem Mal entschlössen, auf dem Motorrad dem Horizont zuzustreben und Bücher darüber zu verfassen. Die Welt verkäme zu einer Riesenbibliothek unter einer Glocke aus Kohlendioxid.

Was ist das Besondere an der Motorradreise, zu der Sie vor vier Jahren aufgebrochen sind?

Das Besondere? Sicher: 1997, ganz am Anfang meiner allerersten Motorradweltreise, da meinte ich etwas Einzigartiges zu unternehmen. Bald aber begriff ich, dass schon Tausende Overlander zu ähnlichen Touren aufgebrochen waren. Überall auf der Welt gab es Menschen – Einheimische und Reisende – die mit Motorrädern, Autos und Fahrrädern herumfuhren. Ein Overlander ist ein ganz normaler Straßenbenutzer, einer unter etlichen Hundert Millionen.

Man sieht also: objektiv betrachtet würde ich meine jetzige Reise, von Europa nach Australien, nicht als „besonders“ einstufen wollen. Aber subjektiv – auf persönlicher Ebene – ist natürlich JEDE Reise einzigartig! Obwohl es heutzutage schwer ist, nie betretenes Terrain bei einer Fahrt um die Welt zu finden, kann man als Individuum durchaus ein Pionier sein. Es geht, wie Frank Sinatra sagte, allein darum, alles „my way“ zu tun. Die persönlichen Erlebnisse, die man von einer Reise mitnimmt, gehören nur Ihnen, und sind einmalig.

Vielleicht war unsere Fahrt durch China ohne Guide eine etwas außergewöhnliche Tat? Wir hatten 2013 begonnen, Informationen über China zu sammeln, und überall hieß es, dass eine Durchquerung für Overlander nur dann möglich sei, wenn man eine geführte Gruppenreise bucht. Das ganze kommende Jahr schickten wir zahlreiche Mails an die chinesischen Zollbehörden und besuchten zudem jede chinesische Botschaft auf unserem Weg nach Osten, um Erkundigungen einzuziehen. Unsere harte Arbeit zahlte sich aus. Im Frühjahr 2014 wurde uns die Erlaubnis aus Beijing erteilt, die erste völlig legale unbegleitete Tour durch das Reich der Mitte durchzuziehen. Die zweimonatige, 7500 Kilometer lange Transitfahrt brachte Erfahrungen mit sich, die man nur einmal im Leben macht!

Welche Gefahren fürchten Sie, wenn Sie auf Reisen sind?


Ein unbekannter Dichter schrieb einst: „Bloß leben genügt nicht. Das Leben muss Qualität haben, wenn es denn lebenswert sein soll. Und für Qualität müssen wir bereit sein, einige Risiken einzugehen und einige Strapazen zu erdulden.“ Das könnte ich unterschreiben, allerdings mit einer Randbemerkung: so arg viele Risiken birgt das Reisen nicht, sofern man mit Vernunft um die Welt fährt, und die Gefahren – abgesehen von denen an einigen Brennpunkten – werden von unseren Medien oft maßlos übertrieben. Sollten wir nicht wissen, dass überall auf der Welt die Hauptsorge der Bevölkerung der Ernährung der Familie und einem Leben in Frieden gilt und nicht dem Ziel, Overlander zur Strecke zu bringen?

Auch die Reisewarnungen des Außenministeriums nehme ich immer „cum grano salis“ – sie geben nicht zwingend ein unvoreingenommenes Bild der Wirklichkeit ab. Das Auswärtige Amt der USA, zum Beispiel, warnt derzeit vor Reisen in 38 Nationen. Doch gibt es nicht auch in den Vereinigten Staaten Schießereien, Kidnapping, Gewalt und Exekutionen? Wird Donald Trump nicht vielleicht sogar demnächst Präsident? Interessanterweise haben es die USA versäumt, sich selbst auf ihre Liste gefährlicher Nationen zu setzen. Und schließlich bomben Terroristen auch in Europa. Man könnte fast zu dem Schluss kommen, dass NICHT zu reisen gefährlicher ist als unterwegs zu sein!

Aber im Ernst: Ich wüsste nicht, wo vor ich mich auf einer Weltreise fürchten müsste – außer bisweilen vor meiner EIGENEN Dummheit und Übermut, wenn ich mein Leben im Ausland unnötigerweise aufs Spiel setze. Ich bin dann selber schuld, wenn ich im Schlamassel sitze – eigentlich weiß ich, welche Landesregionen man meiden sollte und wie man sich vorsichtig verhält.

Welches Erlebnis hat Sie auf Ihren Reisen in den vergangenen zwei Jahrzehnten am nachhaltigsten beeindruckt?

Das ist einfach: Laura 2008 in Malawi zu treffen! Sie hat mich sehr nachhaltig beeindruckt – so sehr sogar, dass ich mich verliebt habe, und seither sind wir unzertrennlich. Doch ich nehme an, Ihre Frage bezieht nicht auf eine Liebesgeschichte. Also, wenn ich an „intensive Erlebnisse“ denke, fallen mir zuerst all die wunderbaren Begegnungen ein, wo Menschen aus so vielen Kulturen mich willkommen geheißen haben. Man trifft Leute, die Gedanken anregen und den eigenen Träumen Nahrung geben, man erhält Einladungen, die eine unvertraute Stadt zu einer Heimat auf Zeit machen, und mancher Fremde wird für immer zu einem Freund. Ich hätte es nicht so viele Jahre auf großer Fahrt ausgehalten, ohne all die prächtigen Menschen, die meine Reisen bereichert und zu meiner Lebensfreude beigetragen haben.

Von diesen Begegnungen in der Fremde habe ich eine wichtige Sache gelernt: Es gibt keine universellen anthropologischen Konstanten. Nichts wird weltweit geglaubt, es gibt keine einstimmigen Entscheidungen zwischen Richtig oder Falsch, keine allgemein verbindlichen moralischen und ethischen Standards und keine allen gemeinsame Religion. Dies anzuerkennen, hat Konsequenzen: Der Besucher irgendeiner Ecke der Welt muss sich vom absoluten Anspruch auf Wahrheit frei machen und es hinnehmen, dass alle Gedanken persönlich und gleichwertig sind, wo man sie auch antrifft. Man muss nicht die Überzeugungen anderer im eigenen Leben übernehmen, aber das Mindeste ist, zuzuhören und anderen das Recht auf eine eigene Meinung einzuräumen.

Können Sie sich vorstellen, überhaupt irgendwann einmal dauerhaft sesshaft zu werden und wenn ja, wo?


Oh je ... im Augenblick sind meine Reiseträume noch so zahlreich, dass ich nicht einmal einen Bruchteil davon verwirklichen könnte. Freilich: Irgendwann könnte uns durchaus der Gedanke an ein sesshafteres Leben kommen. Dann endlich könnten wir uns ein zweites Paar Schuhe leisten, anstatt uns ständig zu fragen, wie viele Tage länger wir unterwegs sein können, wenn wir uns diese Ausgabe sparen.

An welchem Platz wir unsere Hütte bauen, muss erst noch entschieden werden. Vielleicht verschlägt es uns zuletzt nach Argentinien oder in die italienischen Dolomiten, wo wir als zwei erfrischend exzentrische Individuen unsere alten Tage verbringen können. Auf keinen Fall werden wir das Reisen ganz aufgeben, aber es kann sein, dass wir weniger strapaziösen Aktivitäten nachgehen. Sollte es eines Tages so weit kommen, dass wir es nicht mehr schaffen, mit dem Motorrad durch die Mongolei zu fahren, dann gehen wir eben ins Theater. Solche Gedanken schrecken uns nicht, warum auch? Unser Leben lang haben wir unsere Träume verwirklicht, den Schwierigkeitsgraden nach geordnet. Mit hartem körperlichem Einsatz haben wir begonnen, und irgendwann wird es uns genügen, Hunde spazieren zu führen oder in der Hängematte zu schaukeln. Das ist in jedem Fall schlauer, als umgekehrt zu verfahren und den Amazonastrip mit 95 verwirklichen zu wollen. Es wäre doch ärgerlich, ständig festzustecken, weil sich Lianen um die Rollstuhlspeichen gewunden haben.

Mit ein bisschen Glück, und wenn uns weiterhin danach ist, können wir nach meiner Schätzung noch 30 Jahre unterwegs sein. Aber wer sieht schon die Zukunft voraus? Möchte ich auch gar nicht – wo bliebe da die Spannung?

Ich wünsche eine gute Lebensreise, und mögen Sie, wie es unter Overlandern heißt, stets eine Handbreit Benzin im Tank haben!


Das Interview kann ganz oder teilweise honorarfrei veröffentlicht werden, sofern dies im Zusammenhang mit einer Erwähnung von Buch und Verlag geschieht. Das Buch „Hinter dem Horizont rechts“ ist im Delius Klasing Verlag erschienen und kostet 22,90 Euro. Die digitale Cover-Abbildung finden Sie unter www.delius-klasing.de/presse/presse-cover oder Sie schreiben eine E-Mail an: c.ludewig@delius-klasing.de. Christopher Many steht auch für weitere Interviewanfragen zur Verfügung. Bei Interesse wenden Sie sich einfach an Christian Ludewig (Telefon: 0521 / 55 99 02). Weitere Infos unter: http://www.christopher-many.com